Überdüngte Böden, gekippte Seen, Antibiotikarückstände – abonocare® kümmert sich um nachhaltiges Nährstoffrecycling aus organischen Abfällen

Künstliche Düngemittelproduktion ist extrem CO2-intensiv

»Ohne Düngemittel wäre das rasante Bevölkerungswachstum im 20. Jahrhundert nicht möglich gewesen«, erklärt Marc Lincke, der im Fraunhofer IKTS die Arbeitsgruppe für »Biomassekonversion und Nährstoffrecycling« leitet. Um Böden ertragreicher zu machen, setzen Bauern weltweit sowohl auf natürliche Dünger als auch Kunstdünger aus Stickstoff- und Phosphor-Verbindungen. Stickstoffdünger werden kostenintensiv und mit erheblichen Energieaufwand produziert. Phosphor dagegen wird über konventionellen Bergbau gewonnen und vor allem aus China und Marokko bezogen. »Dies sorgt für erhöhte CO2-Emissionen für die Gewinnung, die Produktion sowie den Transport. Auf der anderen Seite bleiben erhebliche Phosphormengen z. B. in Klärschlämmen ungenutzt, obwohl eine Rückgewinnung technisch möglich wäre. Zudem ist diese Rohstoffquelle nicht nur endlich, sondern auch zunehmend mit Schwermetallen und radioaktiven Bestandteilen verseucht«, beschreibt der Wissenschaftler die Problematik.

 

Düngemittel im Übermaß schaden Böden und Grundwasser

Auf der anderen Seite sind Gülle aus der Tierhaltung und Gärreste aus Biogasanlagen sehr nährstoffreich und in rauen Mengen verfügbar. »Dort wo sie lokal allerdings sehr konzentriert auftreten, entstehen Umweltrisiken ­– Stichwort: Überdüngung von Äckern«, warnt Marc Lincke. Wenn Gülle etwa in größerem Umfang auf Ackerflächen ausgebracht wird, können Pflanzen die Nährstoffe nicht aufnehmen. Dadurch gehen wertvolle Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff verloren. Exzessiv ausgebracht, lässt sie Bäche und Seen kippen, belastet Boden und Grundwasser mit Stickstoff, Phosphor und Antibiotika-Resten aus der Tierhaltung. Die Entsorgung dieser großen Reststoffmengen ist für landwirtschaftliche Betriebe aufwändig und teuer. Dies führt dazu, dass Lkws beispielsweise Gülle aus großen Tierzuchtbetrieben quer durch Europa fahren. Die EU und der Bund haben in den vergangenen Jahren die Richtlinien und Grenzwerte für diese Art der Landwirtschaft und insbesondere der Düngung immer weiter verschärft. Insofern stehen Landwirte nicht nur unter einem wachsenden ökonomischen, ökologischen, sondern auch rechtlichen Druck, in der Düngewirtschaft umzulenken.

Interessant zu wissen:

Gülle, Gärreste und Klärschlamm als kostbare Nährstoffressourcen

Marc Lincke macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: »Bei Klärschlämmen aus kommunalen Kläranlagen ist es ähnlich. Sie fallen in großen Mengen an und enthalten Nährstoffe wie Phosphor. Daher sind Kläranlagenbetreiber mit einem Anschlusswert von größer 100.000 Einwohner ab 2029 auch gesetzlich verpflichtet, Phosphor aus Klärschlämmen zurückzugewinnen.« Sowohl Landwirte als auch Betreiber von Biogas- und Kläranlagen müssen sich künftig also viel mehr darum kümmern (englisch: »care«), wie sie Dünger (spanisch: »abono«) erzeugen, verwenden und wiederverwerten können. Von daher leitet sich auch der Name des Wachstumskerns abonocare® ab, in dem das Fraunhofer IKTS seit 2019 gemeinsam mit regionalen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft an neuen Technologien für eine umweltfreundlichere Dünger-Kreislaufwirtschaft arbeitet. »Wir wollen mit neuen Technologien und Konzepten Produktionsketten zu Nährstoffkreisläufen schließen und gleichzeitig dafür sorgen, dass genug kostengünstiger Dünger bereitgestellt wird«, umreißt der Ingenieur den Anspruch der Konsortialpartner. »Die Lösungen zur Nutzbarmachung verlorener Nährstoffe schont die Umwelt sowie die wertvollen Rohstoffressourcen, insbesondere Phosphor.«
 

Ziel ist es, Nährstoffkreisläufe zu schließen, indem verlorene Nährstoffe aus Klärschlämmen, Gülle und Gärresten wieder nutzbar gemacht werden. Damit lassen sich wertvolle Rohstoffressourcen schonen.
© Fraunhofer IKTS
Ziel ist es, Nährstoffkreisläufe zu schließen, indem verlorene Nährstoffe aus Klärschlämmen, Gülle und Gärresten wieder nutzbar gemacht werden. Damit lassen sich wertvolle Rohstoffressourcen schonen.
Aus diesen organischen Reststoffen werden Ressourcen wie Phosphor, Stickstoff und Wasser zurückgewonnen und in nährstoffreiche Produkte wie Düngerpräparate, Flüssigdünger oder Spezialerden überführt.
© Fraunhofer IKTS
Aus diesen organischen Reststoffen werden Ressourcen wie Phosphor, Stickstoff und Wasser zurückgewonnen und in nährstoffreiche Produkte wie Düngerpräparate, Flüssigdünger oder Spezialerden überführt.
Keramische Membranen werden genutzt, um Ammoniumsulfat und Störstoffe aus flüssigen Nährstoffströmen abzutrennen. Das Wasser, das nach der Filtration übrigbleibt, kann zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen genutzt werden.
© Fraunhofer IKTS | Jürgen Lösel
Keramische Membranen werden genutzt, um Ammoniumsulfat und Störstoffe aus flüssigen Nährstoffströmen abzutrennen. Das Wasser, das nach der Filtration übrigbleibt, kann zur Bewässerung genutzt werden.


Heißgasfiltration und Membrantechnik sind Schlüsseltechnologien für nachhaltiges Nährstoffrecycling

Dahinter steht eine ambitionierte Vision der abonocare®-Partner: In Zukunft sollen komplexe Verwertungsanlagen in der Nähe des Anfallorts entstehen, z. B. in Regionen mit hohem Viehbestand, um deren Abfälle gleich vor Ort zu Dünger zu veredeln. Bisher fehlten zum einen in einigen Bereichen effiziente Teilverfahren und zum anderen zusammenhängende Technologieketten, die für die wirtschaftliche Verwertung von nährstoffreichen Reststoffströmen essenziell sind. »Aus abonocare® können neue Export-Chancen, Jobs und Geschäftsmodelle für Anlagenbauer, Düngemittel-Anbieter sowie Entsorger erwachsen«, prognostiziert Marc Lincke.

Für den ersten Teil dieser Technologiekette – der sogenannten Konditionierung – entwickelt das Fraunhofer IKTS polyacrylamidfreie Flockungshilfsmittel. Damit soll es gelingen, die flüssigen und festen Stoffgemische effizient und ausschließlich mit Flockungshilfsmitteln (FHM) auf Stärkebasis voneinander zu trennen.

Im darauffolgenden Prozessschritt der Konversion wird aus den abgetrennten festen Stoffgemischen durch Verbrennung oder hydrothermale Carbonisierung kostbarer Phosphor zurückgewonnen. Auch dafür verfolgen die Forschenden einen vielversprechenden Ansatz. Für die Monoverbrennung von Klärschlämmen bei mehr als 700 °C entwickeln sie gemeinsam mit ihren Partnern ein spezielles Trennverfahren. Durch die Zugabe von speziellen Additiven wie Chloriden, Sulfiden oder Carbonaten zum Klärschlamm und den Einsatz von temperaturstabilen keramischen Filterkerzen lassen sich Schwermetallverbindungen aus der Klärschlammasche herausfiltern. Übrig bleibt dann eine phosphorhaltige Asche, die einfach zu neuen Düngemittelpräparaten weiterverarbeitet werden kann. Es wurde bereits nachgewiesen, dass sich Blei, Kupfer und Zinn gut abtrennen lassen. Nun untersucht das Team, wie sich mit optimierten Additivmischungen die Effizienz des Verfahrens weiter steigern lässt.

Bei der Klärschlammverbrennung können beispielsweise Phosphor und Schwermetalle zurückgewonnen und stofflich weitergenutzt werden.
© Fraunhofer IKTS
Bei der Klärschlammverbrennung können beispielsweise Phosphor und Schwermetalle zurückgewonnen und stofflich weitergenutzt werden.
Auf einem Laborversuchsstand am IKTS wird untersucht, wie sich unter Zugabe von Additiven Schwermetalle abtrennen lassen, um eine reine, phosphathaltige Asche zu erhalten.
© Fraunhofer IKTS
Auf einem Laborversuchsstand am IKTS wird untersucht, wie sich unter Zugabe von Additiven Schwermetalle abtrennen lassen, um eine reine, phosphathaltige Asche zu erhalten.
Zur Rückgewinnung der Schwermetalle aus dem heißen Abgas werden rückreinigungsfähige Keramikfilter bei Betriebstemperaturen von über 700 °C eingesetzt.
© Fraunhofer IKTS
Zur Rückgewinnung der Schwermetalle aus dem heißen Abgas werden rückreinigungsfähige Keramikfilter bei Betriebstemperaturen von über 700 °C eingesetzt.


Für die Fraktionierung, d. h. die Gewinnung von Nährstoff-Fraktionen aus den flüssigen Reststoffen, kann das IKTS gekonnt seine Kompetenzen im Bereich der Membrantechnik ausspielen. Mit robusten keramischen Membrankontaktoren lassen sich nicht nur Ammoniumsulfat zurückgewinnen, sondern auch Störstoffe abtrennen. Das aufgereinigte Wasser kann so wiederum zur Bewässerung von Ackerflächen eingesetzt werden.

Am Ende dieser einzelnen Trennprozesse fallen somit feste und flüssige Nährstoffprodukte sowie strukturbildende Materialien (Feststoffe Gärrest, HTC-Kohle) an, die nun zu markttauglichen Düngern und Beistoffen für gärtnerische Erden verarbeitet werden können.