Autorin: Maria Kaminski
Thermoelektrik: Alter Effekt mit großem Zukunftspotenzial
Die Energieversorgung in Europa wird grundlegend umgestellt: weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Gerade im Bereich Energieeffizienz kann die Thermoelektrik leicht umsetzbare und individualisierbare Lösungen bieten.
Die Physik dazu ist bereits seit fast 200 Jahren bekannt: Thomas Johann Seebeck entdeckte, dass sich eine elektrische Spannung erzeugen lässt, wenn zwei Temperaturniveaus vorhanden sind – der sogenannte »Seebeck-Effekt«. Nur ein paar Jahre später fand Jean Peltier heraus, dass sich dieser Effekt auch umkehren lässt. Demzufolge kann die Thermoelektrik Wärmeenergie in elektrische Energie umwandeln oder elektrische Energie zur Temperierung nutzen. Beides birgt große Potenziale für die Industrie und letztlich auch für die Umwelt.
Was sich so einfach anhört, stellt jedoch die technische Umsetzung vor große Herausforderungen: Trotz langjähriger Bemühungen werden bei dieser Energieumwandlung heute lediglich elektrische Wirkungsgrade von zwei bis sieben Prozent erreicht, je nach Temperaturdifferenz, Temperaturbereich, dem verwendeten Material und der Systemintegration. So sind es bisher eher Nischenanwendungen, in denen die Thermoelektrik eingesetzt wird. Genau das soll sich mit dem Projekt »Sächsisches Forschungscluster – Thermoelektrik in industriellen Anwendungen« (kurz: TE-VorClust) ändern.
Wird die Thermoelektrik als Zukunftstechnologie bestehen und eine breitere Anwendung in der Industrie finden?
Wir haben unseren Experten im Bereich Thermoelektrik Dr. Hans-Peter Martin dazu befragt.
Wofür steht das Projekt TE-VorClust?
Heute sind thermoelektrische Anwendungen auf dem Vormarsch: Als Peltierelemente oder Thermoelemente haben sie sich bereits zur Kühlung und zum Thermomanagement oder als Temperatursensor in verschiedenen Anwendungen bewährt. Ein großes Potenzial steckt aber auch in der Wärmeverstromung mithilfe thermoelektrischer Materialien, Modulen und Generatoren, an der seit einigen Jahren verstärkt geforscht wird. Trotz dieser vielen Bemühungen werden bei dieser Energieumwandlung bislang nur relativ geringe Wirkungsgrade erreicht. Hinzu kommt, dass für viele Techniker und Ingenieure die Thermoelektrik oft noch ein exotisches, physikalisches Phänomen darstellt. Daher ist es unser Ziel, ein Projektnetzwerk aus Wissenschaft und Industrie zum Thema Thermoelektrik aufzubauen, um bedarfsgerechte Applikationen zu entwickeln. Schließlich besitzen thermoelektrische Effekte ein großes Potenzial für attraktive Innovationen in technischen Geräten oder auch im Alltag – mit dem Ziel, Ressourcen zu schonen, umweltfreundlichere Prozesse zu gestalten oder Industrie 4.0 voranzubringen.
Welchen konkreten Beitrag leistet das IKTS im Rahmen des Projekts?
Das Fraunhofer IKTS betreibt seit über zehn Jahren umfangreiche Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet keramischer Thermoelektrika. So arbeiten wir u. a. an der Werkstoffentwicklung und dem Aufbau elektrischer Verbindungen für thermoelektrische Komponenten. Bei diesen Arbeiten profitieren wir stark von unseren langjährigen Erfahrungen in den Bereichen Brennstoffzellen-, Sensoren- und Dickschichtpasten-Entwicklung. Zusätzlich verfügt das IKTS auch über Arbeitsgruppen, die sich speziell mit der Systemintegration, der Simulation von Betriebszuständen oder dem werkstoffspezifischen Alterungsverhalten befassen, was ebenfalls für die thermoelektrischen Entwicklungen von großem Interesse ist. In Kooperation mit den Projektpartnern, der Technische Universität Dresden, dem Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS), dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) sowie den Fraunhofer-Instituten IFAM Dresden und IWS, ergibt sich somit eine deutschlandweite oder vielleicht sogar europaweite einmalige Bündelung von Kompetenzen und Kapazitäten in diesem Bereich, die neue Entwicklungen fördert.
Welche Marktsegmente sind aufnahmebereit für innovative thermoelektrische Komponenten?
Das ist eine Frage, die abschließend mit dem Projektergebnis beantwortet werden soll. Bisher wurden zahlreiche Ideen für potenzielle Marktsegmente gesammelt, u. a. in den Bereichen Gebäudetechnik, Temperiertechnik, in autarken Sensornetzwerken und verschiedenen Fertigungstechnologien für die Industrie 4.0.
Würden Sie uns dies an einem Beispiel erläutern?
Werfen wir einen Blick auf den Bereich Gebäudetechnik. Hier haben sich die Anforderungen in den letzten zehn Jahren deutlich verändert: Die bedarfsgerechte Klimatisierung von Arbeits- und Aufenthaltsräumen in Firmen oder Wohngebäuden steht verstärkt im Fokus. Gleichzeitig soll aber der Energieverbrauch stetig reduziert und der Wartungsaufwand minimiert werden. Hier ist es vorstellbar, Bauelemente, die den Peltiereffekt zur Temperierung nutzen, als selbstregulierende Kühl-Heiz-Kombinationen zu integrieren. Um diese Idee optimal umzusetzen, müssen aber auch die Anforderungen der Architekten, Ingenieure, Werkstoffwissenschaftler oder Elektrotechniker mit integriert werden. Das erfordert Spezialwissen. Umso wichtiger ist, genau diese Expertisen zusammenzubringen, damit solche Bauelemente bedarfsgerecht entwickelt und integriert werden können. Zusätzlich kann die Temperiertechnik auf Peltierbasis ganze Flächen zur Klimatisierung nutzen, um die Energieeffizienz deutlich zu steigern. Eine thermoelektrische Temperierung erfolgt dabei praktisch geräuschlos und ist deshalb besonders angenehm.
Welche technologischen Schritte sind erforderlich, damit diese Ideen zum Einsatz kommen?
Die große Herausforderung besteht darin, die Herstellungskosten von thermoelektrischen Produkten zu optimieren, aber auch deren Integration in bestehende Systeme voranzubringen. Für Letzteres ist gerade die Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten aus der Wissenschaft und Industrie erforderlich, um die konstruktive Gestaltung thermoelektrischer Komponenten zu ändern. Dadurch können diese besser in bereits bestehende und neu entwickelte Systeme integriert werden. Thermoelektrik ist immer eine Energiewandlung, wobei der Wirkungsgrad dieser Wandlung mehr oder weniger interessant für die Anwendung ist. Ein Sensor setzt nahezu keine Energie um, so dass hier der Wirkungsgrad nicht interessiert. Für Kühlungsprozesse oder für die Elektroenergieerzeugung spielt der Wirkungsgrad manchmal sogar die wichtigste Rolle. Entscheidend ist der Gesamtwirkungsgrad des Systems, weshalb auch die Thermoelektrik attraktiv sein kann, denn die thermoelektrische Energiewandlung ist ein sehr einfacher Gesamtprozess.
Was sind die nächsten Schritte?
Voraussichtlich im Dezember 2020 ist im Rahmen des Projekts ein weiterer Workshop geplant. Ich freue mich auf viele spannende, weiterentwickelte und neue Projektkonzepte, die aktuell im Entstehen sind und durchaus noch in den nächsten Monaten ausgebaut werden können. Gerade die in Aussicht stehenden Beiträge der beteiligten Firmen werden sicher den Blick auf noch weitere Anwendungsoptionen lenken. Wenn sich dann die Firmen mit den Instituten zu Projektgruppen zusammenfinden, ist das wichtigste Ziel des Projekts erreicht
Welche Vision haben Sie? Wie wird sich die Thermoelektrik in den nächsten zehn Jahren entwickeln? Was wünschen Sie sich?
Für die Thermoelektrik würde ich mir wünschen, dass in zehn Jahren deutlich mehr Komponenten mit thermoelektrischer Funktion im Einsatz sind. So können neue technische Optionen, insbesondere für autarke Energiequellen entwickelt werden, die für die Realisierung von Industrie 4.0 eine wichtige Rolle spielen. Ebenso kann ich mir vorstellen, dass die Leistungsfähigkeit von Sensoren mithilfe thermoelektrischer Effekte verbessert wird. Vielleicht gibt es dann Hochtemperatur-Thermoelemente aus Borcarbid, die gerade am IKTS entwickelt werden, als standardisierte Temperatursensoren auf dem Markt. Nicht zuletzt könnte es auch bei der Klimatisierung von Wohnungen, Büros, Fabrikhallen oder Fahrzeugen deutliche Energieeinsparungen mithilfe der Thermoelektrik geben. Perfekt wäre es aus meiner Sicht, wenn unsere aktuellen Forschungsaktivitäten sich dann auch in wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen in der Region wiederfinden.
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