Autoren: Gregor Ganzer | Jakob Schöne | Michael Stelter
Spurensuche: Warum dampft der Räuchermann? – Die Randbedingungen
Im zweiten Teil unseres Adventskalenders sahen wir bisher, wie wir den Räuchermann als einen chemischen Reaktor betrachten können mit einer inneren und äußeren Form, mit Abmessungen und Werkstoffeigenschaften. Wir erfuhren ebenfalls, wie wir diese Form und diese Eigenschaften in verschiedene Modelle im Computer übertragen können: Nämlich, indem wir zum Beispiel die Form durch viele kleine gedachte Tetraeder abbilden und den Raum rund um den Festkörper als Gasraum definieren. Damit legten wir die theoretischen Grundlagen für das weitere Verständnis.
Was wir auch durchführten, waren praktische Experimente: Wir durchleuchteten den Räuchermann, um seine exakte Form zu erkennen. Wir untersuchten das Räucherkerzchen beim Glimmen und wissen nun genau, welche Temperatur und welche Wärmemenge es erzeugen kann und bei welchen Temperaturen Duftstoffe entstehen können und Gase abgegeben werden.
Damit taten wir etwas, was die Wissenschaftlern am Fraunhofer IKTS bei der Entwicklung von chemischer Reaktionstechnik sehr oft machen: Theorie und Praxis zu einem sinnvollen Ganzen verbinden. Wir bauten ein physikalisch begründetes Modell, das wir nun mit realen Messdaten füttern können. Wenn alles funktioniert, liefert uns das Modell Aussagen über die Realität, die wir auf anderem Weg nicht erhalten können. Am Fraunhofer IKTS gibt es deshalb sogar spezielle Arbeitsgruppen, die nichts anderes tun, als solche Modelle der Realität im Rechner abzubilden. Sie optimieren sie so lange, bis die Modelle erwiesenermaßen richtig (valide) sind, also keine falschen Ergebnisse bei richtiger Eingabe liefern. Überdies sollen sie noch sehr schnell und präzise die Realität nachbilden. Solche Modelle können sehr tiefe Einblicke in Werkstoffe liefern bis hin zur molekularen Ebene. Sie können einzelne oder miteinander gekoppelte physikalische Phänomene an realen Komponenten beschreiben oder auch das sehr komplexe, dynamische Zusammenspiel mehrerer Bauelemente in einem Gesamtsystem. Die Königsdisziplin ist der sogenannte »Digitale Zwilling«, ein Modell eines Systems, das sogar das Verhalten eines Bauteils oder Systems über viele tausend Stunden in der realen Welt simuliert und somit zum Beispiel Fehler oder eine anstehende Wartung vorhersagt.
Ein bisschen ist es wie bei der Modelleisenbahn: Unser Modell ist das Brett mit all den Schienen und Signalen. Allein kann man damit nichts anfangen. Unsere real gemessenen Daten bilden die Loks und Wagen. Allein nützen die uns auch nichts. Erst, wenn wir die Loks auf die Schienen setzen und den Strom einschalten, können wir den realen Betrieb eines Bahnhofs simulieren und verschiedene Szenarien nachstellen.
Dies versuchen wir nun mit unserem Räuchermann. Wir wollen das geometrische Modell mit unseren gemessenen Daten vereinen. Beginnen wir mit der Geometrie: Diese modellierten wir bereits und stellten sie mit kleinen Tetraedern nach. Im Folgenden verzichten wir daher auf die Darstellung des Netzes, erinnern uns aber, dass es noch da ist.
In den virtuellen Räuchermann stellen wir nun unser Räucherkerzchen. Wir wissen aus den Messungen, dass dieses eine Temperatur von etwa 600 °C hat. Diese Temperatur weisen wir dem Kerzchen zu.
Als zweites Element kümmern wir uns um den Räuchermann. Wir wissen, dass an der Wand des Räuchermanns die Strömungsgeschwindigkeit null ist und tragen das in das Modell ein. Aus der Infrarot-Thermografie wissen wir, dass das Holz des Räuchermanns sich nicht stark erwärmt, faktisch ein Wärme-Isolator darstellt. Auch das tragen wir in das Modell ein. Wissenschaftlich heißt dies: Zur Vereinfachung nehmen wir die Wände zunächst als adiabat an. Die Wände haben eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit. Es findet kein Wärmestrom über die Wände statt.
Nun widmen wir uns der Umgebung des Räuchermanns. Den Quader, der die Umgebung des Räuchermanns beschreibt, definierten wir bereits geometrisch. Nun weisen wir ihm noch physikalische Eigenschaften zu. Den Boden des Quaders setzen wir auf Raumtemperatur, denn die Luft, die später aufsteigen soll, hat genau diese Temperatur. An den Randflächen des Rechengebiets nehmen wir zudem den normalen Luftdruck der Umgebung an und wir legen fest, dass es zum Ein- und Ausströmen von Luft in das Rechengebiet kommen kann.
Damit sind alle Voraussetzungen geschaffen: Wir fütterten das geometrische Model im Rechner mit den gemessenen realen Daten. Sind Sie auch schon gespannt, ob der Rauch an die Decke steigt, wenn wir das Modell einschalten?
Erfahren Sie mehr zu Modellierung und Simulation am Fraunhofer IKTS.
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