Autorin: Fanny Pohontsch
Weniger Plastik ist Meer
Wasser bedeckt zwei Drittel der Erdoberfläche, macht unsere Erde zum blauen Planeten. Meere und Ozeane liefern die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen und absorbieren ein Drittel des Kohlenstoffdioxids, das wir produzieren. Sie steuern das Klima, sind Wirtschafts- und Lebensraum.
Lebensraum
Erst Anfang 2017 strandete an der norwegischen Küste ein Schnabelwal – verhungert, weil sich in seinem Magen 30 Plastiktüten, -teile und -verpackungen angesammelt haben. Eins von vielen Beispielen, das die Schattenseiten unseres Plastikkonsums und die Auswirkungen auf die marine Umwelt zeigt. In Industrie, Gewerbe und Haushalt sind Kunststoffe allgegenwärtig. Über das Abwasser, durch Unfälle, Naturgewalten und nichtfachgerechte Entsorgung gelangen sie zur Endstation Meer – und letztlich in die Nahrungskette.
Ein Müllwagen. Jede Minute.
Jedes Jahr beläuft sich der Plastikeintrag in die Ozeane auf über 8 Millionen Tonnen. Dies gleicht der Ladung eines Müllwagens, der minütlich im Wasser versenkt wird. Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums schwimmen in den Meeren derzeit insgesamt 180 Millionen Tonnen Plastikmüll, davon 70 % auf dem Grund. Gemessen am Gewicht soll es in dreißig Jahren mehr Plastik als Fisch sein. Denn Plastik ist biologisch inert und wird nicht abgebaut: Die Plastikflasche, aus der Sie heute trinken, braucht 450 Jahre, bis sie sich zersetzt hat. Durch die Einwirkung von UV-Strahlung, Salzwasser und Wellen zerfällt sie dabei in immer kleinere Plastikpartikel, wird zu Mikroplastik (MP).
Was ist Mikroplastik?
51 Billionen Partikel Mikroplastik befinden sich bis dato im Ozean – 500-mal mehr als Sterne in unserer Galaxie, der Milchstraße. Mikroplastik umfasst alle Partikel, die kleiner als 5 Millimeter sind. Mit dem bloßen Auge sind sie kaum zu erkennen und am Strand von Sandkörnern nicht zu unterscheiden. Dabei wird zwischen sekundärer MP, wie die sich zersetzende Flasche, die über Jahrhunderte Verwitterungs- und Alterungsprozessen unterliegt, und primärer MP, also industriell hergestellten Formkörpern, die zumeist in Kosmetika als Abrasionspartikel oder als Rohstoff in der Produktion eingesetzt werden, unterschieden. Neben kleinen Kügelchen in jedem dritten in Deutschland hergestellten Gesichtspeeling zählen darunter auch winzige, synthetische Fasern, die sich bei jedem Waschgang aus Fleece-Textilien lösen und in Kläranlagen noch nicht herausgefiltert werden können. »Die in Deutschland betriebenen Kläranlagen leiten gereinigtes Abwasser mit angemessen guter Qualität in den Wasserkreislauf zurück. Trotzdem kann Mikroplastik mit den etablierten Verfahren nicht komplett zurückgehalten werden. Die Partikel sind oft so winzig, dass sie das menschliche Auge nicht mehr wahrnimmt«, berichtet Erik Schulze aus dem Geschäftsfeld Umwelt- und Verfahrenstechnik. Keramische Filtrationsmembranen könnten eine Alternative sein: »Sie gewährleisten hohe Flüsse, halten selbst kleinste Moleküle zurück und sind langzeitstabil. Damit allerdings eine ökonomisch effiziente Filtration der enormen Wassermengen täglich mit den robusten keramischen Produkten realisiert werden kann, muss weiter in die Forschung investiert werden, um die Prozesskosten zu reduzieren«, ergänzt Christian Pflieger vom IKTS-Applikationszentrum Membrantechnik in Schmalkalden. Das MP gelangt über Fließgewässer in die Umwelt, wo es von Tieren mit Nahrung verwechselt und gefressen wird – ein giftiges Menü. Bei der Zersetzung kann es z. B. hormonell wirksame Zusatzstoffe, wie Weichmacher, abgeben. Zudem bindet es organische Schadstoffe, wie Pestizide, aus dem umgebenden Wasser in hoher Konzentration. Am Ende der Nahrungskette landet es auf unseren Tellern.
Fraunhofer IKTS unterstützt WEATHER-MIC
Mikroplastik stellt eine relativ junge Herausforderung für die Umwelt dar – erst seit 60 Jahren wird Plastik weltweit in riesigen Mengen produziert. Dementsprechend gibt es noch keine gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Eine 2016 gestartete Initiative bestehend aus vier internationalen Verbundprojekten unter dem Dach von JPI Oceans setzt dort an. Ziel sind einheitliche Messmethoden und weitere Erkenntnisse über Transport- und Sedimentationsverhalten von MP, und wie es sich auf die marine Umwelt und letztendlich den Menschen auswirkt.
Das am Fraunhofer IKTS nach DIN EN ISO/EC 17025 akkreditierte Labor für Pulver- und Suspensionscharakterisierung untersucht im Rahmen des Verbundprojekts WEATHER-MIC, was langfristig mit Mikroplastik in der marinen Umwelt geschieht.
Gemeinsam mit weiteren Partnern aus Deutschland, Schweden, Norwegen und Belgien wird dabei der Zerfall in immer kleinere Teilchen unter die Lupe genommen und welche Umweltfaktoren diesen Prozess hauptsächlich beeinflussen. Um die komplexen natürlichen Verwitterungsprozesse und deren Einfluss auf das Material zu verstehen, analysiert Kathrin Oelschlägel diese unter kontrollierten Laborbedingungen: »Die Arbeit bedeutet für mich als Wissenschaftlerin, aber auch als Privatperson, sehr viel. Ich genieße es, auf einem Gebiet tätig zu sein, auf dem es noch sehr viel zu entdecken und zu verstehen gibt. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beitragen wird, zu klären, ob und in welchem Maße Mikroplastik ein Risiko für die Umwelt darstellt. Im Alltag nehme ich seit dem Beginn des Projekts viel bewusster die Kunststoffe, die ich verwende, wahr. Auch mein Umgang, z. B. mit Plastikverpackungen, hat sich deutlich verändert. Ich versuche, an sinnvollen Stellen Alternativen zu nutzen. Ein bewusster Umgang mit Kunststoffen schadet uns im Alltag nicht und ist am Ende förderlich für unsere Natur.«
3 schnelle Tipps für jeden, den eigenen Plastik-Fußabdruck zu reduzieren …
- Regionales Wasser aus Mehrwegglasflaschen trinken – oder direkt aus dem Hahn: Leitungswasser ist das in Deutschland am besten kontrollierte Lebensmittel überhaupt.
- Unnötige (Kleinst-)Plastikverpackungen vermeiden – Obst hat z. B. eine natürliche Schutzhülle und loser Kaffee schmeckt viel besser als aus der Einweg-Kapsel.
- Eine langlebige Stofftasche einstecken und den Wegwerf-Kreislauf unterbrechen – pro Kopf werden in Deutschland jährlich 71 Plastiktüten verbraucht, bis 2025 sollen es nach EU-Richtlinie maximal 40 sein.
… und 1 Tipp für die deutsche Kosmetikindustrie
- Biowachs statt Polyethylen (PE) und Co.: In den USA ist ab 1. Juli 2017 zumindest PE als künstlicher Zusatz in abwaschbarer Kosmetik verboten. In den DACH-Ländern gilt weiterhin das Prinzip der Freiwilligkeit. Dazu haben sich viele Firmen seit 2014 auch selbst verpflichtet – eine aktuelle Studie verzeichnet allerdings keine positiven Ergebnisse: Die Kosmetikindustrie setzt weiterhin auf universell einsetzbares, billiges Plastik. Am Fraunhofer IKTS werden hochwertige Wachse aus Biogas synthetisiert, die künstliche Zusätze in Cremes substituieren können. Die Forscher haben dafür eine Technologie entwickelt, mit der die wirtschaftliche Unabhängigkeit der knapp 8000 Biogasanlagen in Deutschland auch nach der Novellierung des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien (EEG) gesichert ist: Anlagenbetreiber haben damit die Wahl zwischen Energieerzeugung und Herstellung von nachhaltigen Produkten.
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