Autorin: Hilde-Josephine Post
#diensttalk mit Dr. Annegret Potthoff zu Partikel- und Bauteiloberflächen unter analytischem Blick
Wie reagieren Nanopartikeloberflächen mit Proteinen im Blut? Wie muss die Oberfläche der Gründungsstrukturen von Offshore-Windkraftanlagen beschaffen sein, damit sich kein Biofilm darauf bildet? Welche Eigenschaften sollte die Oberfläche eines Implantats aufweisen, damit es gut einwächst? Wie kann man maßgeschneiderte Suspensionen für die keramische Fertigung herstellen? Das sind Fragestellungen, mit denen sich die Forschungsgruppe »Pulver- und Suspensionscharakterisierung« am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS auseinandersetzt. Für eine breite Palette an Themengebieten liefert das Team verlässliche Daten. Dabei stellt die langjährige Erfahrung in Analytik und Auswertung ein Alleinstellungsmerkmal dar.
»Diese große Bandbreite an Themengebieten macht unsere analytische Arbeit besonders spannend«, sagt Dr. Annegret Potthoff begeistert. Sie ist die Leiterin der Arbeitsgruppe »Pulver- und Suspensionscharakterisierung« am IKTS. »Die Analytik ist der Schlüssel zur Materialentwicklung für alles, was mit Grenzflächen zu tun hat«, so Dr. Potthoff weiter. Sie ist wesentlich, um stabile Fertigungsprozesse für Werkstoffe und Komponenten zu etablieren: vom Geschirrporzellan über keramische Hochleistungswerkstoffe für Implantate und Sensoren bis hin zu und Batteriekomponenten.
Sie hilft zum Beispiel tribologische und biologische Prozesse an Grenzflächen zu erklären. Die Wissenschaftlerin betont: »Nur wer Grenzflächen versteht, kann eine sinnvolle Produktentwicklung durchführen.« Deshalb bildet die Analytik auch eine Art Anlaufstelle für breitgefächerte Zielgruppen aus Forschung und Industrie: von Rohstoff- und Anlagenherstellern über Biotechnologie und Pharmazie bis hin zu Medizin-, Maritim- oder Umwelttechnik.
Grenzfläche zwischen Partikel und Fluid: Optimierte Suspensionen führen beim thermischen Spritzen zu mehr Energieeffizienz
»Ursprünglich haben wir uns in der Partikel- und Suspensionscharakterisierung vor allem sehr intensiv mit Messungen der Partikelgrößenverteilung und mit der Bestimmung des Zetapotenzials auseinandergesetzt«, berichtet Dr. Potthoff. Partikelgrößenverteilungen geben Aufschluss über das Verhalten von Feststoffen in Flüssigkeiten, wobei unterschiedliche Hilfsmittel verwendet werden. »Durch unsere langjährigen Erkenntnisse«, erklärt die Gruppenleiterin, »sind wir in der Lage, anwenderspezifische Suspensionen mit bestimmten Eigenschaften herzustellen – etwa mit niedriger Viskosität und dennoch hoher Partikelkonzentration.« Zum Beispiel beim thermischen Spritzen, wo bei hohen Temperaturen Oberflächen beschichtet werden, wird eine solche Suspension in einer bestimmten Qualität benötigt, um eine hohe Effizienz des Prozesses zu erreichen. Zwei Randbedingungen sind dabei zu erfüllen: Zum einen soll viel Feststoff in kurzen Zeiteinheiten verspritzt werden können. Zum anderen darf in der Suspension keine Sedimentation auftreten. »Hier ist also eine konstante Homogenität sehr wichtig, damit keine Gradienten auf der Oberfläche entstehen können«, merkt Dr. Potthoff an und fährt fort: »Das erreichen wir, indem wir entsprechende Hilfsmittel dosieren, eine Rezeptur für die Suspension erarbeiten und deren Eigenschaften nachweisen. Die Suspension muss zudem reproduzierbar für andere Chargen sein. Am Ende steht eine Qualitätskontrolle.« Zusammengefasst: Die IKTS-Experten liefern das Know-how für eine Suspension, die es ermöglicht, die Spritzzeit zu reduzieren und eine gleichbleibende Qualität zu garantieren. Davon profitieren Unternehmen, die Bauteile aus Stahl, Leichtmetallen, Keramiken, Beton oder anderen Werkstoffen thermisch beschichten möchten.
Analyse der Wechselwirkung von Nanomaterial mit Organika unterstützt Risikobewertung von Nanomaterialien
»Partikel- und Suspensionscharakterisierung ist unser Kerngebiet, von dem aus wir uns weiterbewegt haben«, so Dr. Potthoff weiter. Seit 2005 unterstützt das IKTS-Team auch Biologen und Toxikologen bei der Risikobewertung von Nanomaterialien. Hier geht es nicht mehr nur um synthetische Hilfsmittel, sondern um Organika, sprich Proteine, in der Wechselwirkung mit Partikeloberflächen von Nanomaterialien. »Es ist ganz erstaunlich, wie viele Parallelen es zwischen einer Suspension gibt, die für technische Anwendungen hergestellt wird«, merkt die Gruppenleiterin an, »und der Risikobewertung von Nanomaterialien. Wir profitieren immens von unserem Erfahrungsschatz aus der Suspensionsforschung. Dadurch ergeben sich Synergieeffekte, die die analytische Arbeit verbessern.« Bei der Risikobewertung geht es um Nutzen versus Risiko. Ein Beispiel: Magnetische Nanopartikel werden heutzutage in der Medizin verwendet. Der Arzt spritzt sie in den Körper, um bestimmte bildgebende Verfahren zur Diagnostik einsetzen zu können. Die Partikel müssen einzeln vorliegen, damit sie im Blut transportiert werden und direkt an die Stelle gelangen, an der sie sein sollen. »Hier ist es also wichtig, die Wechselwirkung mit Proteinen im Blut zu untersuchen. Wie verhalten sich die Nanopartikel? »Dazu braucht es analytische Daten, die wir liefern können«, so Dr. Potthoff.
Grenzfläche zwischen Bauteil und Fluid: Bei Implantat-Oberflächen Protein-Adsorption verbessern
Auch die Medizintechnik gehört zu den Anwendungsgebieten, für die das IKTS-Team tätig ist. Dr. Potthoff vergleicht: »Proteine auf der Implantat-Oberfläche im medizintechnischen Bereich sind analytisch und von der Interpretation her ähnlich zu behandeln wie Nanopartikeloberflächen im Fluid.« Das Labor des IKTS-Teams bietet ein breites Methodenspektrum zur Oberflächencharakterisierung solcher Bauteile. Das sind die Grundlagen. »Letztlich geht es immer um Oberflächenstrukturierungen, die bestimmten Anforderungen genügen muss – und natürlich um Wechselwirkung«, so Dr. Potthoff. Diese zeige zwei Seiten einer Medaille: entweder Adsorption oder Desorption. Sollen sich Proteine andocken, was bei Implantaten der Fall ist, oder soll sich nichts anlagern, wie das nächste Beispiel aus der maritimen Wirtschaft demonstriert.
Grenzflächenoptimierung hilft Antifouling an Offshore-Windparkanlagen zu verlangsamen und Instandhaltungskosten zu sparen
»Einen Bereich, den wir in den nächsten Jahren weiter intensivieren werden«, berichtet Dr. Potthoff, »ist die maritime Forschung.« Gerade mit der Energiewende offenbaren sich Antifouling-Eigenschaften von Bauteiloberflächen, die im maritimen Bereich unter Wasser eingesetzt werden, als zunehmend relevantes Thema. Das betrifft beispielsweise die Gründungsstrukturen von Offshore-Windparkanlagen. Es handelt sich hierbei um Stahlkonstruktionen (Jackets oder Tripods), die mit den Fundamentpfählen im Meeresboden verankert sind. Hier stellt sich den IKTS-Experten die Frage: Wie lassen sich Oberflächen so gestalten, dass sich keine Organik ablagert. »Wir wollen zunächst erreichen, dass das Anwachsen von Biofilm verlangsamt wird«, erklärt Dr. Potthoff. Ausrüster und Wartungsunternehmen von Offshore-Windparkanlagen sind daran interessiert, die Anlagen wartungsarm und langlebig zu halten. Dr. Potthoff: »Wir können hier mit unserer Analytik zu Kostenersparnissen beitragen.«
Oberflächen- und Dichte-Analyse von Mikroplastik hilft Flüsse und Meere zu säubern
Die Verwitterung von Kunststoffmaterialien stellt ein weiteres Themengebiet dar, auf das die Forschenden des IKTS schon seit Langem einen Schwerpunkt legen. Bei diesen Untersuchungen ist relevant, ob sich Mikroplastik am Meeresboden absetzt, im Wasserkörper oder an der Oberfläche schwimmt. Verwittert der Kunststoff, geht das einher mit einem Biofilm, der sich am Material bildet. Das führt dazu, dass sich die Dichte verändert und sich Kunststoffe auch am Meeresboden absetzen. »Derzeit arbeiten wir an einem Projekt«, berichtet Dr. Potthoff, »bei dem es darum geht, Mikroplastik davon abzuhalten, von der Flussmündung ins Meer zu gelangen. Denn Flüsse sind relativ große Eintragsquellen.« Eine an der Flussmündung platzierte Reinigungsanlage soll das verhindern. Dr. Potthoff konstatiert: »Die Auslegung von solchen Anlagen richtet sich nach der Analytik. Wir untersuchen die Materialdichte und schauen uns die Oberflächen an. So tragen wir durch dieses Projekt zum Umweltschutz bei.«
Dr. Potthoff blickt auf ein Erfahrungspotenzial am IKTS von 30 Jahren zurück und viele ihrer Mitarbeitenden sind auch schon lange mit an Bord. Eine riesige Bandbreite an Materialien untersuchte das Team, angefangen von Keramik über Kunststoff bis hin zu Metallen. Die Gruppenleiterin berichtet: »Wir konnten wertvolles Analytik-Know-how sammeln, das uns befähigt, schnell zu erkennen, welche Analyseverfahren optimal für eine Anwendung sind, wie verlässliche Ergebnisse generiert werden und vor allem, wie diese zu interpretieren sind. Diesen Erfahrungsschatz besitzen nicht viele Mitbewerber. Das sehe ich als unser Alleinstellungsmerkmal.« Unternehmen, die sich der Analytik mit entsprechend kompetenter Auswertung bedienen, haben die Chance, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Das resultiert nicht selten in neuartigen Werkstoffen, Beschichtungen und Bauteilen, die wirtschaftliche und umwelttechnische Vorteile bringen können.
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