Autoren: Sandra Klinkmann | Anika Peucker
Der unechte Schokoriegel
(Fast) jeder isst und liebt sie. Sie wird häufig als kleine Sünde für zwischendurch bezeichnet und doch zu jeder Tageszeit genascht. Die Rede ist natürlich von Schokolade. Aber wussten Sie schon, dass…
… Schokolade das Herzinfarktrisiko senken soll?
… der Durchschnittsdeutsche rund 100 Tafeln – also 10 Kilo – Schokolade pro Jahr vertilgt?
… man bis ins 19. Jahrhundert Schokolade in der Apotheke kaufte, da sie als Kräftigungsmittel galt?
… Schokolade kurzzeitig nach dem Konsum die Konzentration und das Gedächtnis fördert?
… das Fraunhofer IKTS ein mit Schokolade überzogenes Sensorsystem in Form eines Schokoriegels entwickelte?
Ja, Sie haben sich nicht verlesen. Denn wissen Sie, wie man die unterschiedlichen Belastungen bei einem automatisierten Verpackungsprozess messen kann? Durch Sensoren, die in den Verpackungsprozess eingeschleust werden und präzise Abweichungen von der Norm melden. Gegenwärtig können Verpackungsmaschinen solche Inline-Belastungsdaten noch nicht aufnehmen. Heute verfolgen in der Regel Hochgeschwindigkeitskameras ausgewählte, belastungsintensive Prozessschritte, um Unregelmäßigkeiten beim Verpacken zu registrieren. Das ist nicht optimal. Daher forschen die IKTS-Wissenschaftler an intelligenten, inlinefähigen Sensoren, die standardisiert in 4.0-Produktionsprozesse eingesetzt werden können.
Die Ad-hoc-Daten, die durch die prozessintegrierten Sensoren gewonnen werden, verwenden die Forscher vorerst für die Verbesserung der Maschinenkonstruktion. Mit der prozessintegrierten Überwachung können die Ingenieure exakt den Herd lokalisieren, an dem ein Produkt – der Schokoriegel zum Beispiel – Schaden nimmt und diese Bereiche umkonfigurieren. Perspektivisch könnten mit der Inline-Lösung jedoch auch die Wartungszyklen für Maschinen optimiert werden, um längere und unvorhergesehene Maschinenausfälle zu reduzieren. Das stabilisiert zusätzlich den Produktionsprozess, generiert Planungssicherheit und mindert das Risiko für Lieferengpässe.
Miniatursensorik im Verpackungsprozess
Zur Optimierung des Verpackungsverfahrens entwickeln die Fraunhofer IKTS-Forscher also eine Miniatursensorik. Wir sprechen hier übrigens von Sensorsystemen der Größe 12 x 12 x 12 mm oder 12 x 24 x 6 mm für die kleinsten ihrer Art. Zum Vergleich: Eine Ein-Cent-Münze hat einen Durchmesser von 16,25 mm.
Der unechte »Schokoriegel« enthält insgesamt drei verschiedene Sensoren. Diese erfassen die schnellen und langsamen Beschleunigungsraten sowie die Drehrate. Betrieben werden die Sensoren mit einem aufladbaren Lithium-Ionen-Akku. Die Datenerfassung erfolgt selbstständig. Dafür wurde extra ein Hall-Sensor eingebaut. Dieser startet die Datenaufnahme kontaktlos über ein externes Magnetfeld. Die Daten der Sensoren werden an eine Software übermittelt, mit der vorab die aufzunehmenden Parameter wie Abtastraten, Messbereich oder aber Aufnahmelänge festgelegt werden können.
Nach Aufbau und Verdrahtung werden Akku und Sensorsystem in Epoxidharz gegossen. Das Epoxidharz dient quasi dem Schutz der Sensoren vor der Schokolade, mit der das kompakte System zum Schluss überzogen wird.
Ein »Schokomantel« für das Sensorsystem
Warum braucht der Minisensor den »Schokomantel«, fragen Sie sich jetzt vielleicht? Nun, das hängt mit den Dämpfungseigenschaften der Schokoladen zusammen. Um die genaue Belastung aufzunehmen und Messdaten nicht zu verfälschen, muss der unechte »Schokoriegel« näherungsweise exakt an sein echtes Pendant heranreichen. Die Schokoladenhülle dämpft und federt dabei ähnlich wie beim echten Riegel Stöße ab. Würden die Forscher die Sensorik ohne Schokoüberzug rein als Epoxidkörper durch die Maschine fahren lassen, wäre die gemessene Belastung höher – damit ungenau. Das Epoxid federt mögliche Stöße anders als Schokolade ab.
Schließlich wird der Schokosensor im gemeinsamen Prozessdurchlauf mit den Schokoladenriegeln verpackt. Die Daten werden in Echtzeit unter realen Bedingungen aufgezeichnet und die Abweichungen vom regulären Prozessablauf entlarvt.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Besteht die Gefahr, dass ich in meiner Schokoladenpackung plötzlich auf etwas Hartes beiße? Seien Sie unbesorgt. Das Fraunhofer IKTS testet und optimiert das System gegenwärtig gemeinsam mit Industriepartnern im Rahmen von Messkampagnen. Die Produkte aus den Kampagnen gelangen nicht in den Verkauf. Sie können also weiterhin bedenkenlos ihren Schokoriegel genießen. Bei den Messkampagnen wird der Schokosensor per elektromagnetischer Ortung am Ende des Verpackungsprozesses aus der Charge gezogen.
Miniatursensorik: Mehr als nur Überwachung von Schokoladenverpackung
Die Sensorik kann aber nicht nur beim Verpacken von Schokolade verwendet werden. Auch bei der Prozessüberwachung anderer Lebensmittelerzeugnisse wie Brühwürfel, Obst oder Gemüse bietet das inlinefähige Sensorsystem einen Mehrwert. Des Weiteren forschen die Ingenieure daran, die Technik zu verkleinern. Denn durch weitere Miniaturisierung eröffnen sich noch mehr Anwendungsbereiche, um gemeinsam mit Auftraggebern schlüsselfertige Industrie 4.0-Lösungen zur Prozessoptimierung zu erschließen und neue Geschäftsmodelle für den Wartungs- und Servicebereich zu entwickeln.
Schokosensor verfeinert Verpackungsprozess, denn das Auge isst mit
Nachdem Sie jetzt wissen, wie der Verpackungsprozess von Schokolade überwacht werden kann, denken Sie vielleicht beim nächsten Auswählen und Auswickeln Ihres Täfelchens an das Fraunhofer IKTS. Sie erinnern sich, welch ausgeklügelter Verpackungsprozess dahinterstecken muss, um Ihnen einen genussvollen Moment für Auge und Gaumen zu kreieren. Und welche Herausforderungen Hersteller gemeinsam mit Forschern meistern, um den Ausschuss, die damit verbundenen Kosten und die Materialverschwendung auf allen Prozessebenen zu reduzieren. Falls Sie beim nächsten Schokogenuss an das IKTS denken, wünschen wir Ihnen dabei: Genussvollen Appetit!
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