Fraunhofer IKTS verstärkt Aktivitäten in Sachsen-Anhalt
Seit diesem Jahr ist das Center for Economics and Management of Technologies (CEM) mit Sitz in Halle (Saale) als neue Struktureinheit am Fraunhofer IKTS integriert. Im Interview geben die Leiterin Dr. Daniela Pufky-Heinrich und der stellvertretende Institutsleiter des Fraunhofer IKTS Prof. Dr. Michael Stelter einen Einblick in die zukünftige Zusammenarbeit.
Frau Dr. Pufky-Heinrich, Sie befassen sich am CEM mit Ökonomischer Modellierung und Geschäftsmodellentwicklung. Beim Fraunhofer IKTS denken viele zuerst an keramische Komponenten und Systeme. Wo liegen die Berührungspunkte in dieser ungewöhnlichen Kombination von CEM und IKTS?
D.P.-H.: Wenn man genau hinschaut, ist diese Zusammenarbeit gar nicht so ungewöhnlich. Sie hat sich in den letzten Jahren bereits in mehreren Projekten des CEM mit dem IKTS bewährt. Das CEM schließt eine Lücke zwischen dem technologischen Ansatz des Fraunhofer IKTS und der (techno)ökonomischen Perspektive. Durch unser interdisziplinäres Team aus Volks-, Betriebswirten und Ingenieurinnen ermitteln wir, welche Technologien ökonomisch relevant und ökologisch nachhaltig sind.
»Wir bieten also fundierte Entscheidungsoptionen über mögliche Entwicklungsszenarien für Unternehmen, Industrieparks oder auch Kommunen und Investoren.«
Das IKTS kann dann zielgerichtet solche technologischen Lösungen in die Industrie transferieren, die vor diesem Hintergrund benötigt werden.
M.S.: Schlussendlich ist es der gleiche Spirit, der uns zusammenbringt. Auch wir sind in Projekten mit einer zunehmenden Komplexität konfrontiert und benötigen Modelle und Simulationen, um über Sektorgrenzen hinweg Lösungen zu entwickeln. Es gibt also eine vorhandene Affinität zu mathematischen Lösungen in der Simulation und Verfahrensauslegung. Wollen wir diese dann mit den Kunden bis zum semi-industriellen Anlagenniveau vorantreiben, müssen wir natürlich auch wissen, welche Geschäfts-, Betreiber- und Verwertungsmodelle realistisch sind.
Das klingt nach einem passenden Match. Welche Branchen und Unternehmen stehen dabei im Fokus?
M.S.: Aufgrund von Regulatorik und Kostendruck gibt es natürlich eine hohe Nachfrage nach Lösungen in der Energie- und Wasserwirtschaft. Gleichzeitig entwickeln sich gerade wichtige Fragestellungen im gesamten Bereich der Bioökonomie. Nicht umsonst spricht man hier von einem Water, Energy und Food Nexus, der zunehmend miteinander verschränkt ist.
Landwirte werden zu Energiewirten und zukünftig vielleicht auch zu Chemielieferanten. Wasserversorger „erzeugen“ eigene Energie und bieten vielleicht bald datenbasierte Services mit den Informationen aus dem Abwasser. Wir stehen hier bereit, diese Möglichkeiten zu bewerten und weiterzudenken.
D.P.-H.: Jedes Unternehmen hat da ganz spezifische Herausforderungen, aber wir sehen wiederkehrende Muster: Wie können vorhandene Energie- und Stoffströme effizienter genutzt werden? Gibt es neue Verwertungswege für bisher ungenutzte Reststoffe? Und welche Möglichkeiten bieten neue Technologien im Bereich Erneuerbare Energien, Wasserstoff oder des Recyclings? Das sind Fragen, die Unternehmen von KMU bis zu internationalen Konzernen aktuell beschäftigen.
Sei es die Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt, die Halbleiterindustrie in Sachsen oder die Pharma- und Lebensmittelindustrie in Thüringen – wir möchten hier unsere vorhandenen Netzwerke in Mitteldeutschland aktiv ausbauen und mit Referenzprojekten zeigen, dass wir die Unternehmen mit konkreten Antworten begleiten können.
Herr Prof. Stelter, Sie sprachen gerade von Bioökonomie. Können Sie uns das kurz etwas näher erklären?
M.S.: Sehr gern. De facto erleben wir gerade eine Art Paradigmenwechsel, wie natürliche Ressourcen bei uns betrachtet werden. Vor dem Hintergrund geopolitischer Unsicherheiten und einer stabilen Versorgung mit Nahrung, Energie oder Wasser schauen wir sehr genau hin, welche Potenziale wir noch heben können. Dies beginnt bei der Produktion in der Landwirtschaft oder in kontrollierten Umgebungen – Stichwort Vertical Farming – bis hin zur Nutzung von Reststoffen in der Verarbeitung von Holz, Lebensmitteln und anderen Produkten. Gleichzeitig erkennen wir bereits jetzt Verwendungskonflikte bei der Nutzung von Ackerflächen für Nahrungsmittel oder Energieträger oder bei Wasserressourcen für die Landwirtschaft oder die Produktion. Gleichzeitig betrachten wir Biomassen zunehmend auch als Kohlenstoffquellen für die chemische Industrie. Hier müssen wir immer alle Ströme im Gesamtbild betrachten und bewerten – wo wir wieder bei den komplexen Modellen des CEM als wesentlichem Beitrag sind.
Worin sehen Sie hier das besondere Alleinstellungsmerkmal des Fraunhofer IKTS?
M.S.: Ich denke, es ist nicht übertrieben, dass wir als IKTS mit keramischen Schlüsselkomponenten wirklich innovative Technologien entwickeln können. Aber dafür müssen wir diese Komponenten im Gesamtsystem und der Produktionsumgebung verstehen. Nur so können wir beweisen, dass unsere Komponente besser ist.
»Der Anlagenbau nimmt hier eine zunehmend wichtigere Rolle ein, da wir unseren Partnern so unsere Lösungen in Ihrer Umgebung demonstrieren können.«
Für Systeme im Bereich Power-to-X oder Wasserstoff tun wir das bereits – in weiteren Feldern wie der Wasserversorgung oder der Bioökonomie möchten wir dies zukünftig auch tun. Mit dem CEM können wir nun die Bilanzgrenze deutlich ausweiten und auf einer Ebene arbeiten, die zuvor kaum machbar war.
D.P.-H.: Ich komme ja aus der chemischen Industrie und kenne daher deren Anforderungen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine CO2-Abscheideanlage in Ihren vorhandenen Industriepark integrieren – da wollen Sie nicht nur wissen, wann der wirtschaftliche Break-Even erreicht ist, sondern auch, wie Ihre bestehenden Prozesse davon beeinträchtigt werden.
Gemeinsam können wir innovative Anlagenkonzepte zunächst modellieren und dann von der Analyse der spezifischen Ausgangsstoffe bis zur Integration eines Systems in den Gesamtprozess vor Ort begleiten – das können dann auch schon einmal bis zu 20-Fuß große Container sein. Für ein Forschungsinstitut ist das eher ungewöhnlich. Aber nur so können Unternehmen fundiert größere Investitionsentscheidungen treffen.
Welche Rolle spielt dabei die Offenheit für Innovationen – also die Akzeptanz der verschiedenen Akteure?
D.P.-H.: Das ist eine gute und wichtige Frage. Die Akzeptanz für Technologien wird sowohl bei Produzenten als auch bei Konsumenten entscheidend davon bestimmt, mit welcher Kommunikation Innovationen begleitet werden. Hier sind übergeordnete Informationskampagnen zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert ebenso wichtig wie die Einbindung der lokalen Bevölkerung.
M.S.: Als IKTS müssen wir zunehmend darauf achten, dass wir mit unserer rein technologischen Brille nicht wichtige Aspekte übersehen. Viele unserer Technologien sind wirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Transformationstechnologien – aber das erfordert auch ein Umdenken bei den Nutzern. Und dies behindert manchmal die Umsetzung. In unserem „Thüringer Wasser- und Innovationscluster ThWiC“ haben wir bereits gelernt, wie nutzbringend die Einbindung soziologischer Kompetenz sein kann. Mit dem CEM bringen wir diese Fähigkeiten und Kooperationen nun konsequent in die gesamte Breite des Fraunhofer IKTS.
Ich danke Ihnen vielmals. Nun abschließend noch eine Frage. Frau Dr. Pufky-Heinrich, was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?
D.P.-H. Zunächst möchte ich mich bedanken, wie offen die Kolleginnen und Kollegen am IKTS uns aufgenommen haben. Wenn die Zusammenarbeit weiter so verläuft, dann sehe ich hier eine riesige Chance, die innovativen Technologien des Fraunhofer IKTS gleich mit einem neuen Geschäftsmodell in die Welt zu bringen. So können wir in Zukunft gemeinsam wachsen.
Herr Stelter, was ist Ihr Wunsch für das IKTS mit seinem neuen Familienmitglied?
M.S.: Ich mache es kurz. Wir wollen mit all unseren Partnern einen mitteldeutschen Forschungsraum für Transformationstechnologien schaffen, der die Herausforderungen unserer Zeit angeht – pragmatisch und zukunftsorientiert.