Autorin: Fanny Pohontsch

#diensttalk mit Prof. Michael Stelter – ein Plädoyer für Technologieoffenheit

Beim #diensttalk geben Mitarbeitende einen kleinen Einblick hinter die Kulissen von Europas größter Einrichtung für Keramikforschung und verraten, was sie bei ihrer Forschung antreibt.

Prof. Michael Stelter stellt sich im #diensttalk, dem Portrait am Dienstag, den Fragen von Fanny Pohontsch.
© Fraunhofer IKTS
Prof. Michael Stelter stellt sich im #diensttalk, dem Portrait am Dienstag, den Fragen von Fanny Pohontsch.

Seit 15 Jahren ist Michael Stelter in unterschiedlichen Funktionen am Fraunhofer IKTS aktiv, die Hälfte davon als stellvertretender Institutsleiter – Schwerpunkt Technologiemarketing. Mit seinem siebten Sinn für Trends und einem Blick für das große Ganze gestaltet der Elektrochemiker zudem die Geschicke des Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerks (ThEEN) e.V. und lehrt an der Universität in Jena.

Morgens Philosophenweg, mittags Winterbergstraße und auf dem Rückweg ein Stopp am Hermsdorfer Kreuz – oder wie kann man sich die Arbeit zwischen Jena, Dresden und den weiteren Standorten vorstellen?

Ich habe durch die Arbeit an mehreren Standorten insgesamt drei Büros plus Homeoffice. Manchmal, das gebe ich zu, vergesse ich sogar, in welcher Stadt ich bin. Es gibt aber umgekehrt einige Konstanten: Die derzeitige Situation bringt es mit sich, dass ich extrem digital arbeiten muss. Das heißt, ich habe in keinem der Büros Papierstapel. Ich wohne praktisch in meinem Laptop. Das IKTS bietet eine fantastische IT-Umgebung. Die nutze ich recht intensiv und kann damit im Grunde überall arbeiten.

 

Worüber machst Du dir aktuell Gedanken? Welche Themen treiben dich momentan insbesondere um?

Unsere Welt ist mittlerweile so komplex, dass sie tatsächlich ein fachfremder Mensch nicht mehr so richtig verstehen kann. Wir haben wahnsinnig viele Systeme: Unser Energiesystem – das ist verkoppelt mit unserem Verkehrssystem. Dieses ist verkoppelt mit dem Klima und das Klima ist wiederum verkoppelt mit unserer gesamten Lebensweise. Was mich dabei umtreibt, ist, dass ein Teil der Gesellschaft glaubt, dass wir da nur mit ganz einfachen, holzschnittartigen Kochrezepten wieder raus kommen. Das funktioniert nicht! Wir haben uns als Gesellschaft mit Technologie in diese Situation gebracht, und meine persönliche Überzeugung ist es, dass wir die Herausforderungen unserer Zeit auch nur mit Technologie lösen können – nicht durch den Verzicht auf Technologie.

 


»Es geht darum zu zeigen, dass Technologie, wie die grüne Energietechnik, eine Chance ist, dass sie die Lebensqualität halten und verbessern kann.«


 

Besonderes Augenmerk legt das IKTS dabei ja auf Technologien für die Kreislaufschließung und Wertstoffrückgewinnung in Industrie und Landwirtschaft, seien es Power-to-X-Verfahren, digitale Tools für das Prozessmonitoring in der Produktion oder robuste keramikbasierte Systeme für die Aufbereitung von Abwasser zu Trinkwasser.

Genau, und darüber hinaus sind wir Forschenden in der Pflicht, aufzuklären – Stichwort Scientific Literacy. Das ist etwas, das mich persönlich in meiner täglichen Arbeit und auch an der Universität sehr umtreibt. Ich möchte Technologieverständnis in die Gesellschaft hineintragen. Persönlich beschäftigt mich da sehr die Förderung von jungen Menschen noch vor deren Studium oder Berufsausbildung. Es geht darum zu zeigen, dass Technologie, wie die grüne Energietechnik, eine Chance ist, dass sie die Lebensqualität halten und verbessern kann. Zudem ist mir die Förderung von Mädchen wichtig. Wir haben eine extreme Unterrepräsentation von Mädchen und jungen Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen, was aus meiner Sicht unnötig ist. Auch da engagiere ich mich und das ist etwas, wo wir auch abseits des IKTS immer wieder Tore schießen, Fördermittel akquirieren und aktiv werden. Als Beispiel: An unserem Standort in Hermsdorf habe ich wesentlich daran mitgearbeitet, dass dort mit dem Tridelta Sensor Space ein außerschulischer Lernort für die Region Ostthüringen entsteht, die besondere Herausforderungen bei der Fachkräftegewinnung hat. Wir können dort junge Menschen aus der Region behutsam und mit Spaß an die Themen Programmierung, Automation und Sensorik heranführen und ihnen Perspektiven aufzeigen, die sie ohne uns nicht hätten.

In der DRESDEN-concept ScienceTram beantwortet Michael Stelter die Fragen der Jugendlichen rund um Klimawandel, Energiewende und Nachhaltigkeit. Die Tram fuhr anlässlich des globalen Klimastreiks.
© ronaldbonss.com
In der DRESDEN-concept ScienceTram beantwortet Michael Stelter die Fragen der Jugendlichen rund um Klimawandel, Energiewende und Nachhaltigkeit. Die Tram fuhr anlässlich des globalen Klimastreiks.

Warst Du als Kind denn auch schon immer technikbegeistert? Wie gestaltete sich Dein Weg bis heute?

Ich wollte gern irgendwas mit Elektronik machen und geriet in eine Fördermaßnahme, bei der sich allerdings herausstellte, dass mir Mathematik weniger liegt. Physik war schon belegt. Nun wurde ich tatsächlich eher zufällig Chemiker. Obendrauf hatte ich ein Gespür für Timing: Habe begonnen, Elektrochemie zu studieren und promoviert. Das war in den 90er Jahren, als die deutsche Automobilindustrie festgestellt hat, dass Elektromobilität niemand brauchen wird – überspitzt gesagt – und in Deutschland zunächst die gesamte Batterieforschung eingestellt wurde. Da saß ich dann: mit viel Wissen über Brennstoffzellen, über Batterien und ohne Anwendung. Ich ging für einige Jahre in die Industrie. Und als Treppenwitz der Geschichte landete ich dann 2005 wieder in der Forschung. Ich kannte das IKTS als Auftraggeber. Das Institut war ein Kunde von uns. Ich wechselte die Seiten und es war die beste Entscheidung, die ich getroffen habe. Und um der Ironie noch eins draufzusetzen, bin ich seit 2012 auch noch Professor für Technische Umweltchemie an der Hochschule und mache genau das, was ich ursprünglich nie machen wollte. So kann es gehen. Aber man muss sich halt auch immer mal hinterfragen. Als Kind allerdings, ich wuchs bei Stollberg im Erzgebirge auf, wollte ich Lokführer werden.


»Die Elektroautos von heute sind unsere Bergwerke von morgen.«


Apropos Erzgebirge – da gibt es im Grunde ja gewisse Parallelen zum IKTS.

So ist es. Im Erzgebirge hat man sich seit sieben-, achthundert Jahren mit anorganischen-nichtmetallischen und metallischen Rohstoffen und mit der gesamten Verfahrenstechnik, die damit zusammenhängt, beschäftigt. Das ist im Prinzip die Basis für unsere Arbeit im IKTS. Denkt man alleine an das Batterie-Recycling von Elektroautos, ein riesiges und wichtiges Thema: Wenn wir demnächst Millionen von Elektroautos hier fahren lassen wollen, was passiert denn mit den alten Batterien? Da sage ich: Die Elektroautos von heute sind unsere Bergwerke von morgen. Die Batterie aus einem Elektroauto, wie wir sie heute kennen, ist chemisch nichts anderes als das Erz, was man aus einem Berg holt, um zum Beispiel Nickel abzubauen. An unserem neuen Standort in Freiberg wollen wir dazu die nötigen Technologien entwickeln, gemeinsam mit den Experten der Bergakademie.

Eine andere Geschichte ist der achtsame Umgang mit der lebenswichtigen Ressource Wasser. Auch hier findet man seit Jahrhunderten im Erzgebirge sehr viel Wissen und Kenntnisse bei den Bergleuten. Entwässerungsstollen und Wassersysteme zur Aufbereitung gibt es dort überall. Das Wasser in den Bergwerken ist jedoch zum Teil auch stark kontaminiert. Und der sorgsame Umgang mit diesem Wasser, dass es gereinigt und wiederverwendet werden muss, ist natürlich auch im Erzgebirge bekannt. Deswegen sind das genau die Themen, die mir persönlich auch hier am IKTS solchen Spaß machen – Wassertechnologie und Batterien, und moderne Lösungen, welche diese Sektoren heutzutage erfordern.


Bleibt da noch Freizeit und wie gestaltet sich diese?

Viel Freizeit gibt es nicht, nein, und ich möchte auch nicht sagen, dass mein Job mein Hobby ist. Da gibt es schon eine gewisse Balance. Denn Freizeit heißt für mich: von Hightech zu Lowtech. Ich beschäftige mich mit alten Autos und schraube an denen rum, besuche Oldtimer-Treffen. Es sind explizit diese alten Dinge, die heute keine Rolle mehr spielen. Außerdem ist es die Fotografie, die mir Spaß macht. Mit alten Kameras und Filmen, die ich auch zu Hause entwickle. Es ist zwar wirklich das deutliche Gegenteil von dem, was wir jeden Tag hier bei Fraunhofer machen. Aber für mich ist das ein wichtiger Ausgleich. Und es zeigt auf gewisse Weise, dass wir auch nur auf den technologischen Schultern unserer Vorfahren stehen. Im Grunde betreibe ich damit also immer so ein bisschen technologische Kulturgutpflege.


»Das erfordert manchmal auch, andere Wege zu gehen und etwas Neues zu versuchen. Das hat aber sehr oft funktioniert.«


Welche Wünsche hast Du für die Zukunft sowohl privat als auch beruflich?

Ach, ich glaube, man kann manchmal viel bewirken, wenn man die Füße auf dem Boden hält. Im Privaten versuche ich, dass meine Kinder ein bisschen was von meiner Begeisterung für die Beschäftigung mit Technik mitbekommen. Bei meiner Tochter hat das schon ganz gut geklappt und mein Sohn wird auch Wege finden, wie er sich im Leben austoben kann. Mir ist es wichtig, diese Grundprinzipien zu vermitteln: Hinterfrage Dinge und traue dich, selbst zu denken, nutze deine Fähigkeiten.

Beruflich wünsche ich mir, dass sich das IKTS auch in den nächsten Jahrzehnten nicht auf seinen Erfolgen ausruht. Dass das Institut beweglich bleibt, dass es sich strategisch adaptiert, dass es seine feinen Sensoren behält für das, was nicht nur heute notwendig ist, sondern auch das, was in zehn oder in fünf Jahren notwendig sein wird. Aber auch, dass das IKTS seinen Mut behält, stur zu bleiben und Dinge abzuarbeiten, von denen es überzeugt ist, und den Trend vielleicht lieber zu setzen, als dem Trend hinterherzulaufen. Das erfordert immer Beweglichkeit. Das erfordert immer auch, das Ohr an den Trends zu haben. Das erfordert manchmal auch, andere Wege zu gehen und etwas Neues zu versuchen. Das hat aber sehr oft funktioniert, und deswegen scheue ich mich nicht, dies auch als einen Wunsch zu äußern. Und ich hoffe, dass ich auch noch lange beitragen kann, diesen Wunsch zu erfüllen.

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Prof. Michael Stelter ist stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer IKTS. Er plädiert für Technologieoffenheit und spricht mit uns u.a. über Batterien und deren Recycling, den achtsamen Umgang mit Wasser und seine Verbundenheit zum Erzgebirge.