Antifouling-Keramik schützt Offshore-Windkraftanlagen und Schiffe gegen Bewuchs

Um die Ozeane von umweltschädlichen Schwermetallen und Bioziden zu entlasten, entwickeln IKTS-Forscherinnen derzeit in Rostock und Dresden neuartige Keramikbeschichtungen für Schiffe und Meeresplattformen. Diese besonders beständigen und nachhaltigen Schutzschichten sollen Organismen möglichst schonend davon abhalten, die maritimen Strukturen zu überwuchern. Und bei diesen Forschungen geht es oft stürmisch zu.

Wenn Werkstoffwissenschaftlerinnen zur Tat schreiten, mag der Laie an weiße Kittel und blitzeblanke Labore denken. Nicht so bei Johanna Sonnenberg und Jana Brinkmann: Im Auftrag des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme IKTS sind sie im »Smart Ocean Technology Campus« (SOT) in Rostock tätig. Dort schlüpfen sie eher mal in Gummistiefel und einen meerestauglichen Halb-Überlebensanzug als in den Weißkittel, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Denn auf dem Forschungskutter sowie im Schlauchboot geht es draußen auf der Ostsee oft ziemlich stürmisch zu. »Da weht gelegentlich eine raue Brise«, erzählen die Doktorandinnen mit einem Augenzwinkern. Sie haben sich für den Außeneinsatz gemeldet, um nachhaltige und umweltschonende Lösungen für die wirtschaftliche Nutzung der Meere voranzubringen: Gemeinsam mit Gruppenleiterin Dr. Annegret Potthoff am IKTS-Hauptstandort in Dresden forschen sie an innovativen keramischen Beschichtungen und Komponenten. Diese sollen künftig den Bewuchs beispielsweise von Offshore-Plattformen und Schiffen verhindern. Denn dieser wachsende Überzug verursacht u. a. einen hohen Treibstoffverbrauch und Wartungsaufwand.
 

Johanna Sonnenberg (links) und Jana Brinkmann (rechts) auf dem Weg zur Forschungsplattform im Digital Ocean Lab.
© Fraunhofer IKTS
Johanna Sonnenberg (links) und Jana Brinkmann (rechts) auf dem Weg zur Forschungsplattform im Digital Ocean Lab.
Mit dem Forschungsboot Praunus der FIUM GmbH & Co. KG fahren sie auf die Ostsee. Das Beiboot nutzen sie zum Übersetzen auf die Plattform.
© Fraunhofer IKTS
Mit dem Forschungsboot Praunus der FIUM GmbH & Co. KG fahren sie auf die Ostsee. Das Beiboot nutzen sie zum Übersetzen auf die Plattform.
Dort lagern sie Proben mit verschiedenen Keramikbeschichtungen sowie Strukturierungen aus und überwachen deren Bewuchs.
© Fraunhofer IKTS
Dort lagern sie Proben mit verschiedenen Keramikbeschichtungen sowie Strukturierungen aus und überwachen deren Bewuchs.


Immer mehr Länder verbieten bisher genutzte Kupferlacke

Zwar gibt es gegen das sogenannte »Biofouling« auch heute schon Lacke, doch diese basieren meist auf Kupfer. Immer mehr EU-Staaten verbieten inzwischen diese Schutzanstriche, weil das rötliche Schwermetall die Umwelt und speziell die Meereshabitate belastet. »Wir wollen daher eine Beschichtung auf Keramikbasis entwickeln, die Bakterien, Algen und Seepocken mindestens genauso gut von den maritimen Systemen abhält wie heutige Schutzlacke, aber umweltfreundlich ist«, formuliert Jana Brinkmann eines der Ziele für die nächsten drei Jahre.

Und hier ist eines essenziell: Versuche unter echten maritimen Bedingungen. Wenn die Forscherinnen eine neue Keramikrezeptur in Kombination mit einer bestimmten Oberflächenstrukturierung entwickelt haben, dann erproben sie diese neue Variante einerseits im Labor in Dresden und andererseits in Auslagerungsversuchen in Rostock. Sie untersuchen dann zum Beispiel, wie eine besonders aufgeraute oder mikrostrukturierte neue Keramikschicht auf Salzwasser reagiert oder wie gut sie Abrieb durch Sand und Kies (»Abrasion«) oder häufigen Temperaturwechseln standhält. Auch kompakte keramische Bauteile, die übrigens auch transparent sein können und die beispielsweise als Schutzabdeckungen für optische Sensoren zum Einsatz kommen können, prüfen sie auf Herz und Nieren.

Neue umweltverträgliche Keramikschicht, die vor und nach der Auslagerung mittels Kontaktwinkelmessungen charakterisiert wird.
© Fraunhofer IKTS
Neue umweltverträgliche Keramikschicht, die vor und nach der Auslagerung mittels Kontaktwinkelmessungen charakterisiert wird.
In einer speziell konstruierten Halterung werden die Proben in bis zu 15 m Tiefe in der Ostsee über mehrere Monate ausgelagert.
© Fraunhofer IKTS
In einer speziell konstruierten Halterung werden die Proben in bis zu 15 m Tiefe in der Ostsee über mehrere Monate ausgelagert.
An unserem Standort in Rostock erproben wir auch robuste transparente Keramikkomponenten beispielsweise für Schutzabdeckungen von optischen Sensoren.
© Fraunhofer IKTS
An unserem Standort in Rostock erproben wir auch robuste transparente Keramikkomponenten beispielsweise für Schutzabdeckungen von optischen Sensoren.


Für die richtig harten Bewährungsproben geht’s raus auf die See

Um die optimale Rezeptur zu finden, nutzen die Wissenschaftlerinnen ein abgestuftes Vorgehen: Unter Laborbedingungen in Dresden können sie beispielsweise besonders kontrollierte Umgebungsbedingungen schaffen und ganz genau analysieren, wie sich der pH-Wert oder das Salz auf eine Keramikoberfläche auswirken. In Rostock wiederum testen sie all dies dann in immer komplexeren Praxisszenarien: Johanna Sonnenberg und Jana Brinkmann können die Proben auf dem SOT-Campus zum Beispiel erst einmal in speziellen Wannen positionieren, die vom Wasser der Warnow durchspült werden. Möglich ist es aber auch, die Proben im Fluss selbst auszulagern. Und für die richtig harten Bewährungsproben gibt es das »DOL«: Anderthalb Kilometer vor der Küste von Nienhagen ist in der Ostsee ein »Digital Ocean Lab« verankert. Dorthin können die Wissenschaftlerinnen mit einem Kutter fahren und per Schlauchboot ihre Keramiken für monatelange Praxistests ins Meerwasser hängen.

Auf dem Rostocker SOT-Campus haben die Forschenden ganz besondere technische Möglichkeiten, weil hier gleich vier Institute an Bord sind, die alle ihre Expertise und ihre Ressourcen einbringen: Neben dem IKTS gehören dazu das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, das Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP und das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Auch mehrere Industriepartner beteiligen sich an zahlreichen Forschungsprojekten auf dem Campus.

 

Ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug prüft Keramikproben im Meer

»Dadurch können wir hier auch ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug einsetzen und so die Versuche regelmäßig kontrollieren«, erzählt Johanna Sonnenberg. Mit diesem ferngesteuerten und mit Kameras ausgestatteten Remotely Operated Underwater Vehicle (ROV) kann die Wissenschaftlerin beispielsweise regelmäßig visuell begutachten, ob ihre Probenträger mit der neuesten Beschichtung schon zugewachsen sind – oder ein Sturm das ganze schöne Experiment unter Wasser verstreut hat. Denn oft verbringen die beschichteten Probenträger viel Zeit Meer – sechs Monate sind keine Seltenheit. Und in einem halben Jahr kann sich viel tun unter der Wasseroberfläche.

Ergebnisse der Auslagerungsversuche: Erste angesiedelte Algen und Einzeller nach 2 Wochen in der Warnow.
© Fraunhofer IKTS
Ergebnisse der Auslagerungsversuche: Erste angesiedelte Algen und Einzeller nach 2 Wochen in der Warnow.
Biofilm aus Algen nach 10 Wochen Auslagerung in der Ostsee.
© Fraunhofer IKTS
Biofilm aus Algen nach 10 Wochen Auslagerung in der Ostsee.
Bewuchs aus Algen, Seepocken und Miesmuscheln nach 18 Wochen Auslagerung in der Ostsee.
© Fraunhofer IKTS
Bewuchs aus Algen, Seepocken und Miesmuscheln nach 18 Wochen Auslagerung in der Ostsee.


Für die Analyse selbst kombiniert das Team mehrere Methoden: Lichtmikroskopie für die Untersuchung der Oberflächenstruktur etwa. Mit der Zeta-Potenzial-Bestimmung lässt sich die Oberflächenladung ermitteln, mit Rasterelektronenmikroskopie die Topographie und Morphologie der Schichten. Die Kontaktwinkelmessung wiederum quantifiziert die Oberflächenenergie.  In drei Jahren wollen die Forscherinnen erste Ergebnisse vorlegen: Ein Demonstrator soll dann mit besonders vielversprechenden Antifouling-Keramiken beschichtet sein, um möglichen Anwendern das Potenzial der Kupferlack-Alternative vor Augen zu führen.

 

Neue umweltverträgliche Keramikschichten sollen auch Wartungskosten senken

Dass die erstmal teurer sein wird als ein klassischer Anstrich, ist absehbar: »Schiffsrümpfe oder Offshore-Strukturen mit Keramik zu überziehen und zu strukturieren, ist natürlich aufwendiger als eine Kunststofflackierung«, erklärt Dr. Annegret Potthoff, die im IKTS die Gruppe für Pulver- und Suspensionscharakterisierung leitet. Aber es gebe eben auch gute Argumente für einen Umstieg – ökonomische genauso wie ökologische. »Die keramischen Beschichtungen sind langlebiger als eine Kunststofflackierung«, betont Dr. Potthoff. Dadurch werde es in Zukunft nicht mehr nötig sein, Schiffe jedes Jahr neu anzustreichen. Besonders für Betreiber von Windenergieplattformen und anderen Offshore-Strukturen, bei denen nach Ende der garantierten Laufzeiten Strukturen sogar gänzlich neu errichtet werden müssen, könne sich ein beständiger Keramikschutz rasch rentieren.

Zudem werden die neuen IKTS-Lösungen wohl auch für Einsparungen im laufenden Schiffsbetrieb sorgen: Wenn Rümpfe nicht mehr so schnell zuwachsen, steigt auch ihr Strömungswiderstand während der Fahrt nicht mehr so sehr wie bisher. Sprich: Keramisch beschichtete Containerriesen oder Wasserstoff-Tanker könnten womöglich ihren Kraftstoffverbrauch und damit ihre Betriebskosten spürbar senken. Nicht zuletzt dürften auch die schärferen Umweltschutzauflagen die Reeder und Plattformbetreiber zum Umdenken bringen, glaubt Annegret Potthoff: »Der Schutz der Meere spielt weltweit eine immer größere Rolle wie die UN-Ozeandekade zeigt«, argumentiert sie. »In der Konsequenz werden die Gesetzgeber in mehr und mehr Staaten ökologisch unbedenkliche Antifouling-Lösungen fordern. Damit dürfte dann auch die Akzeptanz für einen gewissen Mehraufwand wachsen.«