Autorin: Fanny Pohontsch

Pflanzenanbau in kontrollierter Umgebung

Interview mit Dipl.-Ing. (FH) Nico Domurath

 

Am Fraunhofer IKTS forschen Menschen mit dem Antrieb, ganzheitliche ökonomische und nachhaltige Systeme und Dienstleistungen für die Praxis zu entwickeln. Um die komplexen Fragestellungen unserer Zeit zu verstehen und beantworten zu können, schöpfen sie Innovationskraft aus der interdisziplinären Zusammenarbeit.

 

Einer von ihnen ist der Agrarexperte Nico Domurath. Sein Technikum in Dresden-Gruna ist leicht zu finden. Aus dem Sichtfenster der Labortür erstrahlt violettes Licht. Installiert ist dieses in kompakten, verglasten Versuchsanlagen, in denen auf mehreren Etagen Pflanzen gedeihen. Es duftet aromatisch nach Basilikum. Die Indoor-Farm am Keramikinstitut: ein ganz besonderes Beispiel für fachübergreifende Expertise.

© Fraunhofer IKTS
Nico Domurath ist Agrarexperte am Fraunhofer IKTS.

Herr Domurath, welche Forschungsfrage wollen Sie als Gartenbauingenieur am »Keramikinstitut« lösen?

Mein Fokus liegt auf dem Anbau von Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen, auch bekannt als CEA, Controlled Environment Agriculture. Dies umfasst hauptsächlich den Gewächshausgartenbau und das Vertical Farming. Die Branche erlebt aktuell eine zunehmende Dynamik. Angesichts der UN-Nachhaltigkeitsziele streben wir eine biobasierte Wirtschaft an, die natürliche Stoffkreisläufe nutzt, dabei natürliche Ressourcen schützt und den Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung decken kann. Sind es heute acht Milliarden Menschen, werden es bis 2050 über zehn Milliarden sein, die mit Nahrung und Rohstoffen versorgt werden müssen – davon 80 % in Großstädten. CEA-Systeme betrachten wir als Teil der technischen Infrastruktur, die die Lebensmittelproduktion und Bioökonomie schultert. Sie bieten optimale Wachstumsbedingungen für Pflanzen oder Organismen, um z. B. eine gesunde Ernährung zu sichern: In Gewächshäusern oder vertikalen Farmen lässt sich »indoor« jedes Klima der Welt unabhängig von Jahreszeiten und Standort erzeugen. Das verspricht ganzjährige Erträge in konstanter Qualität und Menge. Tomaten, Salate und Kräuter, zum Beispiel, oder proteinreiche Gemüse müssen nicht mehr frühreif geerntet und tagelang über tausende Kilometer aus dem trockenen Süden oder gar Übersee in unseren Supermarkt transportiert werden. Das reduziert Emissionen und auch den virtuellen Wasser- und Landverbrauch. Pflanzenanbau in kontrollierter Umgebung ist also ein großer Hebel für den ökologischen Fußabdruck und die dezentrale Bedarfsdeckung für Ernährung und Bioökonomie. Analysen verdeutliverdeutlichen allerdings: Damit sich das Konzept CEA rentiert, besteht erheblicher Entwicklungsbedarf. Wir wollen die drängenden Herausforderungen gezielt mithilfe unserer robusten keramischen und diagnostischen Komponenten und Technologien lösen.

 

Wie ließe sich die Effizienz von Anlagen für den Pflanzenanbau in kontrollierter Umgebung optimieren? Welchen Ansatz verfolgen Sie?

»Wir denken, dass sich der Stand der Technik mit einem integrierten, interdisziplinären Systemansatz auf ein neues Level heben lässt.«

Im Fraunhofer IKTS verfügen wir über jahrzehntelanges Know-how in der Energie- und Umwelttechnik, Photonik, Sensorik und Prüftechnik. All das wollen wir auf CEA-Infrastrukturen bzw. die Bedürfnisse der Pflanzen, die Wärme, Licht, Wasser und Nährstoffe brauchen, anwenden. Die vertikalen Pflanzschränke sind unsere Versuchsstände. Hier führen wir unser Technologieportfolio für diesen spezifischen Einsatz zusammen. Die Wechselwirkungen und die Balance zwischen Wassernutzung, Nährstoffproduktion und Energie betrachten wir dabei ganzheitlich. Wir verknüpfen Prozesse, wie z. B. den Wasserhaushalt mit dem Wärmemanagement, und wollen Kreisläufe schließen. Heute ist der kontrollierte Anbau technisch noch so komplex, dass wir hier große Chancen für Effizienzsprünge sehen. Je nach Einsatzszenario sind unterschiedlich skalierte und komplexe Systeme sinnvoll.

 

Welche Komponenten und Technologien entwickeln und kombinieren Sie? Wie gelingt das Zusammenspiel?

Ob unsere Berechnungen auch praktisch funktionieren, das erproben und entwickeln wir gezielt langfristig. Wir wollen da hinkommen, dass selbst das Wasser, das die Pflanze transpiriert, zurückgewonnen wird. Für die Medienaufbereitung steht uns unsere Membrantechnik zur Verfügung, bei der Wasser z. B. mittels keramischer Nanofilter und AOP, advanced oxidation processes, aufbereitet wird. Gleichzeitig ermitteln Sensoren, welche Nährstoffe noch darin enthalten sind und welche, in unserem Fall als hydroponische Lösung, wieder zugeführt werden müssen. Mit den von uns vorgesehenen Optimierungen sind 80 bis 100 g Salatertrag pro Liter Wasser realistisch, also doppelt so viel wie in bisherigen vertikalen Farmen. Für Salat im Freiland wird – je nach geografischer Breite – mit 5 bis 20 g pro Liter gerechnet. Wir setzen auf intelligente Werkstoffe, wie durchströmbare Formkörper aus innovativen Zeolith-Keramiken.

»Unsere große Stärke ist es, technische Herausforderungen direkt über Funktionalitäten im Material lösen zu können.«

Die Zeolithe dienen gleichzeitig als Latentwärme- und Wasserspeicher: Nehmen die Zeolithe Wärme auf, geben sie gespeichertes Wasser durch Verdunstung ab. Nehmen sie später wieder Feuchtigkeit auf, geben sie Wärme ab. Durch die präzise Steuerung des Luftstroms in den Anlagen könnten sie tagsüber überschüssige Wärme speichern und bei Bedarf nachts wieder abgeben. Damit ließen sich energie- und wartungsintensive, externe Kompressionskältemaschinen oder fossile Heizungen ersetzen. Wir gehen noch einen Schritt weiter und möchten die gesamte regelbare Belichtungstechnik in ein mit dem Wärme- und Feuchtigkeitskomplex integriertes Energiemanagement einbinden. Denn wo Licht ist, da ist auch Wärme. Indem wir die Pflanzenbelichtung pulsweitenmoduliert gestalten und Photonenaufnahme und Elektronenabgabe synchronisieren, ließe sich der Energiebedarf für die Belichtung um 30 bis 50 % senken.

 

Um zu ermitteln, ob es den Pflanzen gut geht und wie produktiv sie sind, könnten verschiedene biochemische und physikalische Sensoren aus dem Haus zum Einsatz kommen. Sie überwachen den Nährstoffgehalt, Umgebungsparameter bis hin zu Pflanzenpathogenen. Mit integrierten optischen Verfahren, wie der Laser-Speckle-Photometrie, ließe sich das Wurzelwachstum oder der Reifegrad beurteilen. Wir wollen diese vielfältigen IKTS-Technologien als modulares, skalierbares System orchestrieren, und zwar vollständig digitalisiert für den automatisierten bis hin zum autonomen Betrieb. Damit könnten im Endeffekt CEA-Anlagen so klein und kompakt gebaut werden, dass sie sich praktisch überall aufstellen lassen, sogar in direkter Nähe zu den Verbraucher*innen. Die agrarwirtschaftliche Produktion könnte dann an Orten stattfinden, die dafür bisher nicht nutzbar waren.

 

Jedes Szenario – z. B. zukünftige Indoor-Farmen in Ballungsgebieten oder auch inmitten eines Industriegebiets – erfordert doch sicher eine variierte »Konfiguration«?

Das Konzept ist gut geeignet, um es mit gewerblichen, industriellen oder urbanen Infrastrukturen zu verknüpfen. Unser Ziel ist es, diese Anlagen bestmöglich in das jeweilige Umfeld zu integrieren. Deshalb setzen wir auf den modularen Ansatz. Das klingt nach einem immensen Technologieeinsatz. Doch diesen validieren wir von Anwendungsfall zu Anwendungsfall anhand von Wirtschaftlichkeitsanalysen und Ökobilanzen. Wir schauen uns beispielsweise die in der Umgebung anfallenden Stoff- und Medienströme respektive Standort-Schnittstellen an: Wie sind die Lichtverhältnisse? Lassen sich regenerative Energiequellen koppeln und wie gehen wir damit um, wenn kein Wind weht und Wolken den Himmel bedecken? Kann ich Abwärme aus Serverfarmen einfangen oder eigenen Überschuss an einen nebenstehenden Produktionsbetrieb abgeben? Kann ich gar deren emittiertes CO2 direkt nutzen, und wie muss dieses gegebenenfalls wieder aufkonzentriert und gereinigt werden?

 

Wie steht es um die zugeführten Nährstoffe, wie Phosphor und Stickstoff – woher stammen sie und welchen Entwicklungsbedarf gibt es an dieser Stelle?

Wie sich Nährstoffe aus organischen Reststoffströmen zurückgewinnen lassen, ist ein Schwerpunkt, der uns am IKTS schon lange bewegt. Wir setzen auf Biomasse, wie Klärschlamm aus kommunalen Kläranlagen oder Gärresten aus Biogasanlagen. Um die Nährstoffe zu separieren, kommen keramische Membranen zum Einsatz. An der Stelle sei auf den Wachstumskern abonocare® verwiesen. Wir testen hier in unseren Vertical-Farming-Versuchsständen z. B., wie gut die sogenannten Rezyklate aus den Biomassen von den Pflanzen aufgenommen werden. Denn die rohen Rezyklate schmecken ihnen zu dem Zeitpunkt häufig noch nicht. Phosphor neigt dazu, Allianzen mit anderen Stoffen einzugehen. Die Wurzeln können es schwer aufnehmen. Also müssen diese Phosphate gezielt konditioniert werden. Das Gleiche bei Stickstoff: In organischen Düngern muss dieser Nährstoff erst aus Komplexverbindungen gelöst werden. In der Natur geschieht dies im Boden automatisch. Das ist ein mikrobiologischer Prozess. Für ein Nährlösungssystem, wie es bei uns implementiert ist, müssen dafür gezielt Nischen geschaffen werden. Hier bieten keramische Aufwuchskörper als Substrat eine Heimstätte.

 

Welche nächsten Schritte sind geplant?

Unser langfristiges Ziel ist eine »Toolbox«, die Nutzer*innen in die Lage versetzt, sie an jegliche Art von Indoor-Farm anzuschließen. Das können vertikale Pflanzschränke sein, wie wir sie nutzen, bis hin zu Gewächshäusern in verschiedenen Größen und Formen, jeweils optimal ausgelegt auf die genannten oder weitere mögliche Schnittstellen. Wir wollen für den kontrollierten Anbau den Weg zu einer ökonomischen und ökologischen dezentralen Selbstversorgung ebnen, für eine gesicherte gesunde Ernährung und als Säule der Bioökonomie.